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Copyright by: Hans Kuhnert, Christina Martin
Herausgeber: Verlag DeBehr, Radeberg
Erstauflage: 2020
ISBN: 9783957538161
Umschlaggrafik Copyright by AdobeStock by Nordreisender
Die Begegnung
Ein unwirklicher Ort irgendwo im Thüringer Land. Ein einsamer Mönch streicht im Dunkel der Nacht durch den Wald.
Stopp – du bist der Meinung: ‚Hab ich schon gelesen, gesehen oder gehört‘ – langweilig? Das mag den Anschein haben, aber was ich jetzt berichte, ist wirklich und genau so passiert. Du wirst staunen und es wird dir wie ein Märchen vorkommen. Also, noch einmal von Anfang an.
Auf die Zeit, also das Jahr, kann ich mich nicht genau festlegen. Das Land war sehr dünn besiedelt und es gab viele Wälder, ja richtige Urwälder. Thüringen war im Prinzip reine Natur, ein grünes Land, nicht zu Unrecht spricht man noch heute vom ‚grünen Herzen Deutschlands‘. Von der Erderwärmung hatte man auch noch nichts gehört, denn es war zu dieser Zeit eklig nasskalt, ein Wetter, bei dem man keinen Hund vor die Tür lässt, schon gar keinen Mönch.
Es musste schon einige Hundert Jahre her sein. Aber Mönche gab es schon. Einer von ihnen lief zu dieser Zeit durch den Wald. Er schien es ziemlich eilig zu haben, denn trotz Dunkelheit ging er zielstrebig seinen teilweise holprigen Weg. Äste peitschten ihm ins Gesicht, er stolperte über Wurzeln, er musste seine Füße aus dem Schlamm ziehen und er fiel in Pfützen. Das alles schien ihn nicht zu stören. Er lief, wie von Geisterhand getrieben, seinem Ziel entgegen. Seine Mönchskutte war schon völlig durchnässt und verdreckt. Wenn das Mondlicht kurzzeitig die Wolken durchdrang, konnte man das etwas rundliche Gesicht des Mönches unter der tief über die Stirn gezogenen Kapuze erkennen. Es schien von der Kälte dunkelrot zu sein und leichter Wasserdampf umgab seinen Kopf. Mit einer Hand hielt er die Kutte am Hals zusammen, um die Kälte nicht zum Körper vordringen zu lassen, mit der anderen Hand musste er die Äste beiseiteschieben oder wegdrücken. Trotzdem lief er unbeirrt weiter. Kein Mensch schien ihn aufhalten zu können. Im Wald herrschte eine unangenehme Stille. Nur der geräuschvolle und schwere Atem war zu hören, wenn der Mönch kurz zur Erholung stehen blieb. Aber wirklich nur kurz, dann ging er wieder in seine geplante Richtung und es waren nur noch seine schnellen, geräuschvollen Schritte zu hören.
Wer war nun der seltsame, ja mysteriöse Mönch? Woher kam er und wohin wollte er so eilig? Auf diese Antworten müssen wir wohl noch warten. Wir wissen nur, dass er sehr zügig unterwegs war; vielleicht wegen des schlechten und kalten Wetters oder er lief vor irgendetwas weg oder er wollte einfach nur schnell sein Ziel erreichen.
Auf einer kleinen Lichtung blieb er plötzlich stehen. Er schien außer Atem zu sein. Laut keuchte er, es fiel ihm schwer zu atmen. Eine Hand an die Brust gepresst, mit der anderen hielt er sich an einem kleinen Baumstamm fest, stand er gebeugt und versuchte sich kurz zu erholen. Um ihn herum war finstere Nacht, Wolken ließen keinen Lichtstrahl auf die Erde. Plötzlich horchte der Mönch auf. Es war absolute Stille. Nichts, aber auch gar nichts war zu hören. Kein Windhauch, keine Bewegung der Äste und der Blätter. Kein Lebewesen des Waldes gab einen Laut von sich. Es war unheimlich, richtig gespenstisch. So stellte sich der Mönch den Tod vor. Ängstlich schaute er sich um, so als würde er verfolgt, doch in der Dunkelheit war niemand zu sehen. Jetzt zogen sich die dichten Wolken auseinander und ließen Platz für ein paar Strahlen des Mondes. Der Mönch versuchte etwas im Mondlicht zu erkennen. Aber die unangenehme Ruhe, ja Stille, machte ihm jetzt noch mehr Angst, er konnte sich nicht richtig konzentrieren. An seinem Standort war zwar einiges zu sehen; Bäume, Sträucher und vereinzelte Erdhügel, aber das beruhigte ihn nicht. Im Gegenteil, seine Angst wurde immer größer, weil er die Gefahr nicht sah, die er befürchtete. Am ganzen Körper zitternd war er einer Ohnmacht nahe. In seiner Verzweiflung ließ er sich auf die Knie fallen und faltete seine Hände zum Gebet: „Heiliger Vater im Himmel …“ Der Mönch war plötzlich still, denn er glaubte, etwas zu hören oder bemerkt zu haben. Er stand entschlossen auf, um einem Angreifer zu begegnen, doch so sehr er sich auch umsah, er war allein. Wieder kniete er sich nieder und begann zu beten: „Heiliger Vater im Himmel…“
Jetzt hörte der Mönch aus dem Dunkel ein Flüstern, aber relativ laut, es kam ein lang gezogenes „Duuuu“. Er sprang auf und ballte mutig seine Hände zu Fäusten. Mit eisernem Willen und seinem ganzen Mut war er bereit, sich gegen einen Angriff zu verteidigen. Aber wohin er auch immer blickte, er konnte keinen Angreifer, kein Lebewesen sehen, das ihm gefährlich werden konnte. Das ließ ihn wieder ängstlicher werden. Neben sich sah er einen kahlen Ast an einem Baumstumpf. Den versuchte er mit beiden Händen abzubrechen, um ihn als Waffe zu benutzen. Doch so sehr er sich auch bemühte, er bekam den Ast nicht ab. Er versuchte dagegenzutreten, aber auch das ohne Erfolg. Im Dunkel fingerte er dann am Boden, um etwas zu finden, mit dem er sich gegen eine Gefahr wehren konnte, doch vergeblich. Deshalb kniete er sich schnell nieder und begann mit seinem Gebet: „Heiliger Vater im Himmel, bitte …“
Ungeduldig unterbrach ihn die leise Stimme aus dem Nichts: „Lass das, du Mensch, und hör mir zu! Die Beterei wird dir nichts nützen.“ Langsam, sich verwirrt umblickend stand der Mönch auf. Als er stand und den Fremden nicht sah, wurde er etwas mutiger und fragte in den Wald hinein: „Wer bist du?“ Es kam keine Antwort. „Wo bist du?“ Wieder wurde nicht geantwortet. Jetzt hatte der Mönch genug und wollte entschlossen weitergehen. Er musste schnell überlegen: Von wo war er gekommen? Ein kurzer Blick und er kannte seinen Weg wieder. Als er sich in Bewegung setzen wollte, zischte die Stimme fast in einem Befehlston: „Bleib stehen, Mensch, du kannst mir nicht entkommen.“
„Ich kann dich nicht sehen.“ Der Mönch wirkte etwas trotzig, blieb aber stehen, um die Stimme zu hören und den Menschen dazu zu finden. Er drehte sich um dreihundertsechzig Grad und suchte vergeblich seine Umgebung ab. „Wenn wir uns ausgesprochen haben, werde ich mich zeigen.“ Der Mönch wollte sich von der Stimme wegdrehen, um zu zeigen, dass sie das mit ihm nicht machen konnte. Aber wovor konnte er sich wegdrehen. Es war ja niemand da. „Ich rede mit keinem, den ich nicht sehen kann.“ Der Mönch wirkte mehr als entschlossen. „Sieh dir die Bäume an.“ Die Stimme war jetzt normal zu hören und wirkte auch plötzlich nahezu menschlich. „Siehst du die Wassertropfen auf den Blättern?“ Der Blick des Mönches richtete sich auf die Blätter eines Baumes. Durch das Mondlicht, das sich nun einen breiten Platz zwischen den Wolken geschaffen hatte, leuchteten die Wassertropfen. Sie sahen aus wie kleine funkelnde Sterne. Wunderschön glänzten sie im Mondschein. Plötzlich begeistert von dem schönen Anblick sagte der Mönch nahezu bewundernd in die Nacht hinein: „Ja, die sehe ich.“
Er sah sich um. Nicht nur auf dem einen Ast, den er zuerst im Blick hatte, sondern auf allen Ästen der Bäume, die vom Mondlicht angestrahlt wurden, waren die kleinen funkelnden Sternchen zu sehen. „Du, Mensch …“ Der Mönch unterbrach die Stimme. Er machte seinem Ärger Luft und das mit scharfem Ton. „Sag nicht immer Mensch zu mir. Ich bin zwar ein Mensch, habe aber auch einen Namen.“ Der Unbekannte schwieg eine Weile, doch dann fragte er in einem ruhigen Ton: „Wie ist dein Name? Wie kann ich dich ansprechen?“ Die Frage hatte der Mönch nicht erwartet. Sie klang für ihn sehr menschlich. Etwas ängstlich, zögernd und stotternd antwortete er dann doch. „Franz, alle haben mich Franz genannt.“
„Gut, ich werde dich auch mit Franz ansprechen.“ Die Stimme wartete auf eine Reaktion. Franz, wie wir den Mönch jetzt auch nennen, bewegte seine Füße auf der Stelle, so als ob er liefe. Dabei drehte er sich um seine eigene Achse. Unsicher nickte er nur und presste ein gezwungenes „Ja“ heraus.
Die Stimme, die irgendwo herkam, wirkte nun noch ruhiger, fast vertraut. „Franz, sieh dir einmal die leuchtenden Wassertropfen auf den Ästen und Blättern an. Fällt dir da etwas auf?“ Nun kam Bewegung in Franz. Er machte einen Schritt auf einen Baum zu und sah sich die kleinen leuchtenden Sternchen genau an. So ging er von Baum zu Baum. Die Wassertropfen wurden durch das Mondlicht unterschiedlich angestrahlt und so leuchteten sie auch unterschiedlich. Manche flackerten stark und manche leicht. Vor einem Ast blieb Franz stehen. Da leuchtete ein Sternchen ganz hell und flackerte nicht, es sah auch nicht wie ein Wassertropfen aus. Franz erschrak, als er die Stimme wieder hörte – und zwar genau vor sich. „Du stehst jetzt genau vor mir.“ Franz versuchte hinter dem Geäst und den Blättern etwas zu erkennen. Aber da war nichts. „Ich sehe dich nicht.“ Franz wirkte verzweifelt. Mit großer Anstrengung versuchte er, irgendwo eine menschliche Gestalt zu sehen. Dazu wollte er einen Schritt weitergehen, aber die Stimme hielt ihn zurück. „Bleib stehen, du stehst genau vor mir.“ Das verwirrte Franz noch mehr, seine Blicke gingen in alle Richtungen und verzweifelt rief er: „Aber ich sehe dich doch nicht!“ Seine Augen richteten sich plötzlich, wie von Geisterhand erzwungen, auf das helle Sternchen. Wieder hörte er die Stimme, nun kam sie direkt aus seiner Nähe. „Du siehst mich jetzt.“ Franz kam das ziemlich komisch vor. Er sah vor sich den kleinen leuchtenden Stern und musste plötzlich verschmitzt lachen. „Du willst das Sternchen sein?“ Die Stimme wurde energisch, sie klang jetzt sehr verärgert, manche leicht. Vor einem Ast blieb Franz stehen. Da leuchtete ein Sternchen ganz hell und flackerte nicht, es sah auch nicht wie ein Wassertropfen aus. Franz erschrak, als er die Stimme wieder hörte – und zwar genau vor sich. „Du stehst jetzt genau vor mir.“ Franz versuchte hinter dem Geäst und den Blättern etwas zu erkennen. Aber da war nichts. „Ich sehe dich nicht.“ Franz wirkte verzweifelt. Mit großer Anstrengung versuchte er, irgendwo eine menschliche Gestalt zu sehen. Dazu wollte er einen Schritt weitergehen, aber die Stimme hielt ihn zurück. „Bleib stehen, du stehst genau vor mir.“ Das verwirrte Franz noch mehr, seine Blicke gingen in alle Richtungen und verzweifelt rief er: „Aber ich sehe dich doch nicht!“ Seine Augen richteten sich plötzlich, wie von Geisterhand erzwungen, auf das helle Sternchen. Wieder hörte er die Stimme, nun kam sie direkt aus seiner Nähe. „Du siehst mich jetzt.“ Franz kam das ziemlich komisch vor. Er sah vor sich den kleinen leuchtenden Stern und musste plötzlich verschmitzt lachen. „Du willst das Sternchen sein?“ Die Stimme wurde energisch, sie klang jetzt sehr verärgert, obwohl sie nicht lauter wurde. „Was gibt es da zu lachen? Natürlich bin ich das.“ Nach einer kleinen Pause, die die Stimme Franz zur Beruhigung zugestanden hatte, sprach sie weiter: „Du hast doch eine kleine Schachtel?“ Man konnte sehen, wie sehr diese Frage Franz bewegte und verunsicherte. Er fingerte nach dem umgehängten Beutel und tastete erfolgreich nach der Schachtel. „Woher weißt du von der Schachtel? Die gebe ich nicht her, denn sie wurde geweiht.“ Darauf lachte die Stimme nur, jedenfalls klang dieses „Ha, ha, ha“ sehr nach einem Lachen. Dann schwieg sie wieder und im Wald war sofort diese unangenehme, Angst machende Stille. Franz hörte nur seine eigenen Atemgeräusche und wagte nicht, sich zu bewegen. „Du willst doch mehr über mich erfahren? Also, dann nimm die Schachtel …“ Franz schüttelte heftig den Kopf und drückte die Schachtel, die er im Beutel fühlte, an seinen Körper. Die Stimme wurde energisch. „Du nimmst jetzt die Schachtel!“ Gehorsam griff Franz in seinen umgehängten Beutel und holte sehr zögernd eine kleine Schachtel heraus. Dann wartete er, was die Stimme ihm sagen wird, was er mit der Schachtel, die ihm sehr heilig war und die er fest zwischen beiden Händen hielt, tun sollte. Aufmerksam hörte er zu. „Du öffnest die Schachtel und hältst sie jetzt unter meinen Stern.“ Mit stark zitternden Händen öffnete Franz die Schachtel, die ihm dabei aus den Händen rutschte. Nur durch hektisches Nachfassen konnte er sie wieder auffangen. Man merkte, sie war für ihn sehr wertvoll und er gab sie nur sehr widerwillig her. Ängstlich ging er einen Schritt auf den Stern zu. Seine Hand mit der Schachtel konnte er nicht ruhig halten und nur mit Mühe hielt er sie unter den kleinen Zweig, auf dem das Sternchen war. So schnell konnte Franz nicht mit seinen Augen folgen, wie der Stern sich in die Schachtel fallen ließ. Jetzt leuchtete, nein, jetzt strahlte die Schachtel. Ungestüm schnell verschloss er sie und glaubte die Stimme gefangen zu haben. An seiner Mimik konnte man sehen, dass sich Franz wie ein kleines Kind freute und überlegen fühlte. Er drückte die Schachtel fest in seiner Hand und wollte seinen Sieg genießen. Seine Freude, die er empfand, war aber nur von kurzer Dauer und wurde wieder durch die Stimme getrübt. Der Gefangene betrachtete sich nicht als solcher, sondern sah es als seine Rettung an, wie Franz bemerken musste. So drückte er auch sofort seine Dankbarkeit aus. „Das war gut, Franz. Das hast du gut gemacht. Danke. Jetzt weiß ich, wir werden gut miteinander zurechtkommen.“