Leseprobe

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Der Sommer vor fünfundzwanzig Jahren und der Tag, an den beide zurückdenken. Es ist ein richtig schöner Sommerabend, die Sonne steht am Horizont und wärmt aber immer noch die Luft über einem grünen Fleckchen unweit vom Dorf. Dieser Platz ist auf drei Seiten dicht umwachsen mit Sträuchern und Büschen, an eine Seite grenzt der Wald. Ein idealer Platz für Verliebte, die ungestört sein wollen. Sie können sich dort, zwischen all den grünen Gewächsen, sicher vor unliebsamen Zuschauern sein. Ein junges Pärchen liegt nackt und eng umschlungen auf einer ausgebreiteten Decke. Es ist das verliebte Paar Annelie und Swiebeck. Sie küsst ihn noch einmal, wälzt sich über ihn auf die andere Seite der Decke und steht dann langsam auf. Schnell zieht sie sich ihr Höschen an. Er sitzt wie ein kleiner Junge auf der Decke und versucht, vorn und hinten an seiner Unterhose zu erkennen. Dann zieht er sie sitzend und dadurch sehr umständlich an. Dabei sieht er immer wieder, ihren Körper bewundernd, zu Annelie, die gerade ihren BH schließt. Er schaut immer noch zu ihr, während er seine Socken anzieht. Dann springt er auf und zieht sich Hemd und Hose an. Annelie steht neben ihm und knöpft langsam ihre Bluse zu. Er stellt sich hinter sie, umklammert ihren Oberkörper und zieht sie an sich. Sie schiebt aber seine Arme weg und dreht sich zu ihm. Nun erfasst er ihre Schultern und will die Frau küssen. Wieder erlebt er eine Abfuhr. Sie dreht sich von ihm weg. Verlegen und etwas enttäuscht hebt er die Decke auf und legt sie sorgfältig zusammen. Als er sie auf dem Gepäckträger des Motorrades verstaut hat, wagt er es noch einmal und umarmt Annelie innig und fest. Zu seiner Überraschung und Freude lässt sie es jetzt sehr gern geschehen. Nun sieht es so aus, als wollen sie den Platz niemals verlassen. Beide genießen diese Umarmung und die Nähe des anderen. Doch dann schiebt sie ihn sanft von sich, als habe sie es plötzlich sehr eilig. Er hat den Wink verstanden und setzt sich auf sein Motorrad. Annelie hat einige Mühe, mit ihrem kurzen Rock auf den Sitz zu kommen; aber er wartet geduldig, bis sie auch sicher hinter ihm sitzt.

„Ach, es war so schön, Manfred – wie immer mit dir. Ich bin so glücklich … du machst mich glücklich. So könnte und sollte es doch immer für uns sein. Ich freue mich schon auf das nächste Mal mit dir. Bleib doch hier und lass uns unsere Liebe und Jugend genießen. Warum muss es so weit weg sein? Du kannst doch auch hier studieren.“

Swiebeck macht trotz seiner momentanen Enttäuschung ein ernstes und wichtiges Gesicht. Es war doch bis jetzt alles geklärt – sie hatten das beide geplant. Wieso plötzlich diese Zweifel und woher kommen die? Vor zwei Stunden war doch noch alles klar. Hat er etwas falsch gemacht? Einen Augenblick überlegt er: Hat er vielleicht etwas Falsches gesagt? Nein, nichts was er in den letzten Stunden getan oder gesagt hat, sieht er als falsch oder gar verletzend. Er versteht die Welt nicht mehr, beziehungsweise Annelie. Was soll und kann er jetzt noch machen? Sein Blick verfinstert sich etwas, doch dann schaut er wieder freundlich und will überzeugen oder zumindest beschwichtigen, aber auf keinen Fall streiten.

„Annelie, wir haben das doch BEIDE geplant und bis jetzt war doch auch alles klar. Du weißt doch, mein Schatz, dass ich den Flug schon buchen musste und in zwei Tagen geht der Flieger. In einer Woche muss ich laut Vertrag schon in der Bostoner Uni auf der Matte stehen. Passiert das nicht, muss ich das Geld zurückzahlen, was sie schon in mich investiert haben und auch eine hohe Vertragsstrafe zahlen.“

In Annelie scheint alles zusammenzubrechen. Enttäuscht, sehr traurig und mit feuchten Augen schaut sie Swiebeck ins Gesicht. Sie hebt ihre Hand, um zärtlich seine Wange zu streicheln, doch kurz vor der Berührung lässt sie die Hand wieder sinken und hält sie sich dann an den Kopf. Aus ihrer anfänglichen Trauer oder Enttäuschung schein Wut geworden zu sein. So kommen auch ihre Worte bei ihm an.

„Dann hast du dich wirklich endgültig für die USA entschieden und nicht für mich – für uns?! Was ist mit unseren gemeinsamen Plänen und Zielen? Unsere gemeinsame Zukunft? Waren das nur leere Worte von dir? Wir wollten doch gemeinsam alt werden, wie du immer gesagt hast.“

Sie bemüht sich eine Weile vergeblich, ihre Tränen zu verbergen, doch dann weint sie ungehemmt los. Swiebeck versucht verzweifelt zu erklären, die Situation zu retten. Er überlegt angestrengt: Wann haben sie über Zukunftspläne gesprochen, die nichts mit seinem Studium in Boston zu tun hatten? Sie war doch Feuer und Flamme von der Idee und hat diese Begeisterung auf ihn übertragen. Es gab für sie doch auch nur das eine Ziel, gemeinsam in den USA leben, solange er da studiert. Diese Zweifel schwingen in seinen Worten mit.

„Ich habe mich doch für uns entschieden, für unseren gemeinsamen Zukunftsplan. Ich betone: Es war unser gemeinsamer Plan. Das wollten wir auch gemeinsam tragen. Meine Zweifel, die ich hatte, hast du mir genommen. Du sprichst von Trennung – wir werden doch nur für drei Monate getrennt sein. Die Flugverbindung für dich habe ich schon rausgesucht und das Ticket dafür kann ich dort vor Ort kaufen, du musst es dann nur am Flughafen abholen. Mit der Wohnung dort, das habe ich auch schon geklärt. Ich kann gleich nach der Immatrikulation raus aus dem Internat und ein Zimmer bekommen. Dann können wir zusammen wohnen, genau wie wir es erträumt und besprochen hatten. Wir werden auch gleich heiraten, in den USA, so wie wir es uns immer so schön ausgemalt haben. Unsere Hochzeit – nur wir zwei. Selbst unsere Flitterwochen wollten wir dort verbringen. Du hattest schon Ideen und ich habe einige Ideen, die dir bestimmt auch gefallen werden. Ich liebe dich doch so, Anne, und ich möchte mein ganzes Leben mit dir verbringen.“

Er fleht sie förmlich an und würde am liebsten vor ihr auf die Knie gehen. Annelie wirkt jetzt eher trotzig als traurig und sehr abweisend. Natürlich weiß sie und denkt auch daran, dass sie beide nur für Amerika geplant haben. Aber sie kann nicht einsehen, dass sich Swiebeck so ziert, nur weil sie plötzlich ihre Meinung geändert hat. In ihrem Kopf gehen jetzt andere Dinge vor und er merkt das nicht. Sie will von ihm doch nur ein Zeichen sehen, ein Zeichen der Liebe oder des guten Willens. Das lässt er nicht erkennen und das steigert noch ihre Enttäuschung.

„Wenn du mich wirklich lieben würdest, aus tiefsten Herzen, würdest du mich nicht allein hier zurücklassen. Ich habe gedacht, du merkst irgendwann einmal, was los ist. Ich hoffte, ich wünschte, du würdest dein Persönliches für uns aufgeben.“

Ihre Worte haben gewirkt, Swiebeck fühlt sich in Erklärungsnot. Er gestikuliert wild mit den Armen. Einmal sind sie an seinem Kopf, dann an den Hosentaschen und dann wieder an seiner Brust, als hätte er Schmerzen. Jetzt rauft er sich die Haare. Eine Welt bricht für ihn zusammen; er weiß nicht, wie er reagieren soll.

„Aber ich, nein, wir haben uns doch für dieses Studium entschieden und das mit klarem Kopf. Für mich war Amerika sehr weit weg, weg von dir, von meiner Mutter und von meiner Heimat. Du warst es doch, die mich ermutigt hat. Wenn du bei unserer Planung nur den geringsten Zweifel angemeldet hättest, hätte ich den Vertrag nicht unterschrieben und würde nicht fliegen. Dann hätte ich gleich abgesagt. Jetzt ist es wirklich zu spät, ich kann nicht mehr zurück.“

Verzweifelt steht Swiebeck vor ihr und will sie in den Arm nehmen, doch sie lässt das nicht zu und geht einen Schritt zurück. Annelie wischt sich mit dem Handrücken die Tränen aus dem Gesicht. Er merkt immer noch nichts und sieht nicht ein, dass sie ihre Pläne nun geändert hat. Sie hat nun endgültig aufgegeben und hofft auch nicht mehr, dass er sich noch umstimmen lässt.

„Studium, da habe ich ja nichts dagegen, aber du musst doch nicht gleich nach Amerika gehen. In Deutschland gibt es auch gute und weltweit anerkannte Universitäten. Leipzig, München, Jena, Hamburg oder Berlin; überall kannst du das studieren, was du willst. Warum nur dieses blöde amerikanische Nest?“

Trotzig dreht sie sich von ihm weg. Manfred fühlt sich auf verlorenem Posten und will retten, was noch zu retten ist. Er geht zwei Schritte, so dass er wieder vor ihr steht und ihr in die Augen schauen kann.

„Aber, Anne, du kennst doch meine beruflichen Ziele, meinen Wunsch, das Klima zu erforschen und den kann ich mir nur über dieses Studium erfüllen. Dazu kommt noch dieses großzügige Stipendium, das ich hier in Deutschland nie bekommen würde.“

Er hofft nun, dass er sie überzeugt hat, doch in Annelies Augen ist große Verzweiflung, aber dann plötzlich auch mächtiger Zorn zu erkennen. Sie wischt mit der Hand noch die letzte Träne weg und schreit:

„Dann heirate doch dein blödes Klima. Du zerstörst damit unser beider Glück, alles was wir gemeinsam erreichen wollten.“

Annelie dreht sich um und läuft weinend weg. Manfred steht wie angewurzelt und ruft ihren Namen.

„Anne, … Anne.“

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